Wir wissen schon lange, dass uns ein ungesunder Lebensstil krank macht – Stress, wenig Bewegung, ungesunde oder einseitige Ernährung, Rauchen, Alkohol, etc. Neuste Untersuchungen zeigen nun, dass wir die negativen Folgen eines ungesunden Lebensstils auch an unsere Nachkommen vererben können. Eine wissenschaftliche Sensation, denn bisher ging man davon aus, dass das nicht möglich sei, weil diese erworbenen Informationen nicht in den Genen kodiert sind.
Diese neue „Zusatzgenetik“ heißt Epigenetik. Was ist Epigenetik und wie beeinflusst sie uns?
Der Mensch ist mehr als nur die Summe seiner Gene
Als verkündet wurde, dass die Sequenzierung des menschlichen Genoms (=Erbgut, DNA) gelungen sei, war die Begeisterung groß. Man erhoffte sich mit der Entschlüsselung des genetischen Codes den Schlüssel zu sämtlichen Krankheiten zu haben.
Doch recht schnell wurde klar, dass die Sequenz des Genoms nicht alles erklären konnte. Um die verschiedenen Prozesse im Körper zu verstehen spielen noch andere Faktoren eine Rolle, welche die Genaktivität beeinflussen. So können bestimmte Bereiche der Gene stillgelegt, andere wiederum aktiviert werden. Diese „Steuerung“ nennt man Epigenetik und sie ist maßgeblich dafür verantwortlich wie die Prozesse in unserem Körper ablaufen.
Es geht also nicht nur darum das Gen zu haben, sondern die Frage ist: wird es abgelesen? Und wenn ja, wann?
Viele Umweltfaktoren wie Stress, Traumata, Nahrungsmangel oder -überschuss, die Zusammensetzung unserer Nahrung, Sport, Temperaturen und vieles andere können die Genaktivität beeinflussen und wirken als “epigenetischer Schalter”. Somit beeinflusst die Umwelt unser Erbgut und umgekehrt.
Im übertragenen Sinne kann man sich das vorstellen wie eine Küchenmaschine, die man sich gegönnt hat. Manche Küchenmaschinen können eine echte Erleichterung darstellen, aber wenn die Küchenmaschine unbenutzt in der Ecke steht, bringt sie mir auch nichts. Die Tatsache, dass eine Küchenmaschine besitze, macht mich nicht zu einem/r besseren Koch/Köchin. Ich muss die Maschine erstens nutzen (und bedienen können) und zweitens wissen wann ich sie am besten einsetze.
Nutrigenomik
Wie schon erwähnt, wirkt sich auch unsere Ernährung auf die Epigenetik aus.
In der Nutrigenomik (Nutrition = Ernährung, Genom = Gesamtheit der vererbbaren Informationen einer Zelle) werden die Zusammenhänge zwischen Nahrung, Ernährungsverhalten und deren Auswirkung auf die Genexpression (das Ablesen der Gene) erforscht.
Bereits im Mutterleib beginnt die Prägung durch die Umwelt
Die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft hat einen großen Einfluss auf den Stoffwechsel des Nachwuchses.
So wurde festgestellt, dass Frauen, die während der Schwangerschaft Hungersnot erlitten, Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht zur Welt bringen. Das ist aus Krisengebieten bekannt, wo Nahrungsnot herrscht.
Was Forscher lange Zeit jedoch nicht auf dem Schirm hatten, konnte 1944 im Hungerwinter der Niederlande gut beobachtet werden. In diesem Winter herrschte große Nahrungsnot in den Niederlanden, so dass die Tagesration auf unter 1000 kcal fiel, teilweise sogar noch unter 500 kcal, was natürlich viel zu wenig ist1. Fast 20.000 Menschen überlebten diesen Kriegswinter nicht. Frauen, die während dieser Zeit schwanger waren, brachten untergewichtige Kinder zur Welt (unter 2500 g)2.
Die medizinische Dokumentation zu der Zeit war jedoch recht gut, so dass man versuchte die Personen (also die Babys) von damals ausfindig zu machen und befragte sie zu ihrem Gesundheitszustand. Dabei kam heraus, dass die Kinder, die damals im Bauch ihrer Mutter Hunger erlitten, nicht nur mit einem niedrigen Geburtsgewicht zu Welt kamen, sondern bis ins Alter Folgen davon trugen. Hunger mussten sie danach nicht mehr erleiden, aber sie hatten im Durchschnitt ein höheres Körpergewicht (mehr Fettmasse), sowie mehr metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen3.
Auch Diabetes Typ II und ein erhöhter Blutdruck werden mit einem niedrigen Geburtsgewicht assoziiert4;5;6.
Ein niedriges Geburtsgewicht ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, kardiovaskuläre oder metabolische Erkrankung im Alter zu entwickeln.
Übergewicht während der Schwangerschaft ist jedoch auch nicht gesund. Dies kann zu einem erhöhten Geburtsgewicht (über 4500 g)2 des Kindes führen. Ein erhöhtes Geburtsgewicht steigert das Risiko an Adipositas (Fettleibigkeit) zu erkranken und ebenso an damit verbundenen physischen und psychischen Folgen zu leiden. Übergewichtige Kinder leiden sehr viel häufiger an Bluthochdruck, koronaren Herzkrankheiten, Schlafapnoe (periodischen Atemstörungen während des Schlafs), orthopädischen Problemen, sowie Diabetes Typ II7.
Aber auch das Körpergewicht (und andere „Geschenke“) der lieben Väter spielt eine Rolle bei der Gesundheit des Kindes2.
Schließlich entsteht ein Kind aus den Genen der Mutter UND des Vaters. Qualität und Quantität der Nahrung steuern den Aktivitätsgrad der Gene – insbesondere in der Schwangerschaft und den ersten Lebenswochen. Damit werden entscheidende Weichen für Gesundheit und Krankheit gelegt.
Zusammenfassend sieht man, dass eine gesunde Ernährung und ein gesundes Körpergewicht nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Nachkommen von Vorteil sind.
Epigenetik ist aber nur einer von vielen Faktoren
Wir haben gesehen, dass nicht nur unsere Gene entscheidend für unser „Schicksal“ sind. Es gibt noch eine „Zusatzgenetik“, die bestimmt welche Gene überhaupt „benutzt“ werden (Epigenetik). Man kennt dies vielleicht auch als „familiäre Disposition“ (Häufung bestimmter Erkrankungen innerhalb einer Familie über mehrere Generationen).
Aber auch das sollte nicht als unabwendbares Schicksal betrachtet werden, sondern eher als Ansporn. Welcher epigenetische Code sich bei einem Menschen etabliert und ob er sich im Laufe des Lebens verändert, bestimmen neben körpereigenen Signalstoffen auch die Essgewohnheiten und weitere Aspekte der Lebensführung (wie z.B. Rauchen, Stress, Alkohol, etc.).
Obwohl es diese „genetischen Vorgaben“ gibt, kann man dennoch zu einem Großteil selbst beeinflussen wie sein Leben verläuft. Gerade Krankheiten wie Diabetes Typ II, metabolisches Syndrom, Lungenprobleme und ähnliches können mit einem gesunden Lebensstil vorgebeugt werden.
Es ist DEIN Leben. Mach‘ das Beste daraus!
Fazit
Ich finde es immer wieder spannend was die Wissenschaft herausfindet. Noch beeindruckender finde ich es zu sehen wie komplex der Körper ist. Hier dachte man, wenn der genetische Code des Menschen entschlüsselt ist, würde man die Antwort zu sämtlichen Fragen haben. Aber nein! Der Körper verlässt sich nicht nur auf die Gene. Eigentlich völlig logisch, wenn man das rückblickend betrachtet. Schließlich dauert es sehr lange bis die Gene sich verändern. Darwin hatte aber damals schon festgestellt, dass nur der, der sich am besten anpassen kann, überlebt. Somit musste es noch etwas anderes neben diesem „starren“ DNA Gerüst geben, wo die Gene drauf codiert sind.
Dies nennt man heute Epigenetik. Aber auch das ist wieder nur EIN Puzzleteil. Wer übergewichtige Eltern hat (mit verschiedenen Krankheiten) und lernt seinen eigenen Weg zu gehen, kann durchaus vieles abwenden. Vielleicht nicht alles – manche Sachen sind schwer zu beeinflussen – aber wenn man seine Probleme reduzieren kann ist das doch schonmal ein Fortschritt!
Quellen
1Lumey, L. H., Stein, A. D., Kahn, H. S., Van der Pal-de Bruin, K. M., Blauw, G. J., Zybert, P. A., & Susser, E. S. (2007). Cohort profile: the Dutch Hunger Winter families study. International journal of epidemiology, 36(6), 1196-1204.
2Varnaccia, G., Zeiher, J., Lange, C., & Jordan, S. (2018). Kindliche Adipositas: Einflussfaktoren im Blick.
3Painter, R. C., Roseboom, T. J., & Bleker, O. P. (2005). Prenatal exposure to the Dutch famine and disease in later life: an overview. Reproductive toxicology, 20(3), 345-352.
4Barker, D. J. (1998). In utero programming of chronic disease. Clinical science, 95(2), 115-128.
5Barker, D. J. (2004). The developmental origins of chronic adult disease. Acta Paediatrica, 93, 26-33.
6Lapillonne, A., & Griffin, I. J. (2013). Feeding preterm infants today for later metabolic and cardiovascular outcomes. The Journal of pediatrics, 162(3), S7-S16.
7Paliy, O., Piyathilake, C. J., Kozyrskyj, A., Celep, G., Marotta, F., & Rastmanesh, R. (2014). Excess body weight during pregnancy and offspring obesity: potential mechanisms. Nutrition, 30(3), 245-251.