Beim letzten Beitrag ging es darum, dass die UN-Generalversammlung das Jahr 2016 zum Jahr der Hülsenfrüchte ernannt hat. Im Zusammenhang mit Hülsenfrüchten fallen häufig die Worte „anti-nutritive Stoffe“ und „Phytinsäure bzw. Phytate“. Phytinsäure soll Mineralstoffe binden und somit für den Menschen unbrauchbar machen. Stimmt das? Sollte ich diese Nahrungsmittel lieber meiden? Hat die Phytinsäure eventuell auch gute Seiten?
Was ist Phytinsäure?
Phytinsäure ist ein Inositolring mit 6 Phosphatgruppen (IP6). Es ist ein ganz natürlicher Stoff, der Pflanzen als Phosphor- und Mineralstoffquelle dient. Während der Keimung wird die Phytinsäure von einem Enzym namens Phytase abgebaut wodurch sowohl Phosphor als auch die eingebundenen Mineralstoffe wie z.B. Eisen, Magnesium, Zink und Kalzium frei und somit auch verfügbar für die wachsende Pflanze werden. Für die Pflanze ist dieser Stoff also ungemein wichtig.
Aber auch in tierischen Zellen wurden Phytinsäure und ihre Derivate (Inositolring mit weniger als 6 Phosphatgruppen) gefunden. Hier sind sie unter anderem an der Zellteilung und Zelldifferenzierung beteiligt1.
In welchen Nahrungsmitteln finde ich Phytinsäure?
Den höchsten Gehalt findet man in Getreide, wo sich der überwiegende Anteil in den Randschichten befindet. Das heißt also im „gesunden“ Vollkorn wäre Phytinsäure enthalten, aber wer zum Auszugsmehl greift, wird dort kaum bis gar keine vorfinden.
In Hülsenfrüchten (Linsen, Bohnen, Kichererbsen, etc.) ist sie im Endosperm lokalisiert.
Auch Samen wie beispielsweise Sonnenblumenkerne und Sesam, aber auch Nüsse enthalten Phytinsäure.
Ebenso wie Pseudogetreidearten wie Amaranth, Quinoa und Buchweizen2;3.
Warum wird die Phytinsäure zu den anti-nutritiven Stoffen gezählt?
Nutritiv sind Inhaltsstoffe, die ernährungsphysiologisch positiv zu bewerten sind wie z.B. Fette, Proteine (Eiweiße), Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Vitamine.
Der Begriff ‚anti-nutritive Stoffe‘ wird meist im Zusammenhang mit Substanzen verwendet, die unverdaulich sind oder nicht resorbiert werden. Weiterhin wird es aber auch verwendet, wenn die Resorption von nutritiven Stoffen verhindert oder einschränket wird.
Abb. 1: Aufbau der Phytinsäure in übertragenem Sinn. Nähere Infos siehe Text.
Da Phytinsäure Mineralstoffe bindet und diese dadurch scheinbar für uns Menschen nicht mehr verfügbar sind, wird sie als anti-nutritiver Stoff bezeichnet (- eventuell zu Unrecht?!?!). Dies betrifft vor allem Eisen, Kalzium, Zink und Magnesium4;5.
Den Aufbau der Phytinsäure habe ich – in übertragenem Sinn – in Abbildung 1 dargestellt. Ich habe mich dabei einem Klischee bedient. Der Inositolring mit seinen 6 Ecken ist in türkis zu erkennen und die Frauen in jeder Ecke des Inositolrings sollen die Phosphatgruppen darstellen. Die Mineralstoffe wie z.B. Eisen (Fe) stellen die Ringe dar – und jeder weiß ja wie gerne Frauen schön funkelnde Ringe bzw. Schmuck geschenkt bekommen ;) Einmal in ihrem Besitz geben sie diese sehr ungerne wieder her – und so ist das auch mit der Phytinsäure.
Die Phytinsäure hat auch positive Seiten
Die Bindung von Mineralstoffen scheint nicht nur negative Seiten zu haben.
So gibt es Hinweise darauf, dass Phytinsäure vor Osteoporose, Nierensteinen und Gefäßverkalkungen schützt6.
Eine Studie an Frauen in der Postmenopause zeigte, dass bei höheren Phytatgehalten im Urin weniger Knochenabbau stattfand.
Phytinsäure (und ihre Derivate) scheinen positiv in den Calciumstoffwechsel einzugreifen und Verkalkungen zu verhindern6.
Weiterhin scheint die Phytinsäure antioxidativ und antikanzerogen zu wirken7. Es wird vermutet, dass die Chelatbindung mit Eisen den positiven Effekt hervorruft. Durch diese Bindung wird die Eisenoxidation verhindert, was ein verringertes Darmkrebsrisiko bewirkt. Aber auch bei Prostata-, Brust- und Bauchspeicheldrüsenkrebs scheint die Phytinsäure Wirkung zu zeigen8. Andere gesunde Zellen werden nach jetzigem Wissensstand nicht von diesem Stoff beeinflusst und es wurden bisher auch noch keine weiteren Nebenwirkungen gefunden, wodurch die Phytinsäure eventuell Potential hätte eine neues Krebsmedikament zu werden8;9. Da die Phytinsäure hauptsächlich in den Randschichten von Getreide enthalten ist, könnte dies auch der Grund sein, weshalb Vollkornprodukte das Risiko an Darmkrebs zu erkranken verringern10.
Fazit
Die Abläufe in unserem Körper sind unheimlich komplex. Nahrungsmittel, solange wir sie nicht industriell isoliert oder verändert haben, enthalten so viele verschiedene Stoffe, dass es schwierig ist diese Stoffe in „gut“ und „böse“ einzuteilen. Die Phytinsäure scheint ein gutes Beispiel dafür zu sein. Zuerst sah man nur, dass diese Mineralstoffe bindet, also bekam sie den Stempel „Mineralstoffräuber“. Jetzt langsam kommt man dahinter, dass es auch positive Wirkungen gibt. Weitere Forschungen stehen aber noch an.
Muss man jetzt auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten?
Fakt ist, Phytinsäure bindet Mineralstoffe, ABER es gibt auch positive Auswirkungen auf den Körper.
Meiner Meinung nach ist ein gesunder Mittelweg das Beste. Es gibt Methoden die Phytinsäure in einem gewissen Umfang zu reduzieren – darauf werde ich im nächsten Artikel eingehen – aber man sollte sich nicht verrückt machen lassen.
Behaltet eines im Hinterkopf: jeder Mensch ist einzigartig! Genauso einzigartig ist auch die Verdauung – es kann sehr gut sein, dass der eine Mensch mit Phytinsäure gar keine Probleme hat, während ein anderer schon bei kleinsten Mengen Probleme bekommt. Es geht nämlich nicht nur um die Menge der Phytinsäure, sondern auch um das was noch zusätzlich gegessen wird. Wie viele Mineralstoffe werden aus anderen Nahrungsquellen aufgenommen? Wie ist der restliche Mineralhaushalt? Es gibt so viele verschiedene Faktoren, die da mit rein spielen. Die Wissenschaft wird wohl noch etwas forschen müssen um hinter die Geheimnisse der Phytinsäure zu kommen.
Bis dahin empfehle ich euch: übertreibt es nicht und hört auf euren Körper! Die Dosis macht das Gift.
Wie man Phytinsäure durch einfache Hausmittel reduzieren kann, erfahrt ihr in diesem Beitrag!
Quellen
1Schröterová L., Hasková P., Rudolf E., Cervinka M. Effect of phytic acid and inositol on the proliferation and apotosis of cells derived from colorectal carcinoma. Oncology Reports. 2010;23:787–793 doi: 10.3892/or_00000699.
2Egli, I., Davidsson, L., Juillerat, M.A., Barclay, D. and Hurrell, R.F. (2002), The Influence of Soaking and Germination on the Phytase Activity and Phytic Acid Content of Grains and Seeds Potentially Useful for Complementary Feedin. Journal of Food Science, 67: 3484–3488. doi: 10.1111/j.1365-2621.2002.tb09609.x
3Zhang, G., Xu, Z., Gao, Y., Huang, X., Zou, Y. and Yang, T. (2015), Effects of Germination on the Nutritional Properties, Phenolic Profiles, and Antioxidant Activities of Buckwheat. Journal of Food Science, 80: H1111–H1119. doi: 10.1111/1750-3841.12830
4Urbano G., Lopez-Jurado M., Aranda P., Vidal-Valverde C., Tenorio E., Porres J. The role of phytic acid in legumes: antinutrient or beneficial function? Journal of Physiology and Biochemistry. 2000;56(3):283–94. doi: 10.1007/BF03179796
5Schlemmer U., Frølich W., Prieto RM., Grases F. Phytate in foods and significance for humans: food sources, intake, processing, bioavailability, protective role and analysis. Molecular Nutrition and Food Research. 2009;53(Suppl 2):330–375. doi: 10.1002/mnfr.200900099.
6López-González A., Grases F., Monroy N., Marí B., Vicente-Herrero M., TurF., Perelló J. Protective effect of myo-inositol hexaphosphate (phytate) on bone mass loss in postmenopausal women. European Journal of Nutrition. 2013;52(2):717-26. doi: 10.1007/s00394-012-0377-6
7Verghese M., Rao D., Chawan C., Walker L., Shackelford L., Anticarcinogenic effect of phytic acid (IP6): Apoptosis as a possible mechanism of action. LWT Food Science and Technology 2006;39,1093–1098. doi: 10.1016/j.lwt.2005.07.012
8Somasundar P. Riggs D,. Jackson B., Cunningham C., Vona-Davis L., McFadden D. Inositol hexaphosphate (IP6): a novel treatment for pancreatic cancer. Journal of Surgical Research. 2005;126,199–203. doi: 10.1038/srep10834
9Schröterová L, Hasková P, Rudolf E, Cervinka M. Effect of phytic acid and inositol on the proliferation and apotosis of cells derived from colorectal carcinoma. Oncology Reports. 2010;23:787–793. doi: 10.3892/or_00000699
10Song M, Garrett WS, Chan AT. Nutrients, foods, and colorectal cancer prevention. Gastroenterology. 2015;148:1244–60. e16. doi: 10.1053/j.gastro.2014.12.035.
Hi Denise, heißt das, dass Phytinsäure kein Selen bindet?
LG, Eve
Hallo Eve,
nein, das bedeutet das leider nicht. Die Phytinsäure kann mit so ziemlich allen Mineralstoffen eine Bindung eingehen, also auch Selen, Zink und so weiter.
LG,
Denise
netter Kommentar über Frauen und Ringe….
….der Aufbau der Phytinsäure im übertragenen Sinn ist genial erklärt in der Abbildung UND im Text – ich glaube nicht, dass ich das jemals vergessen werde!!! …endlich einmal ein Blog für Leute, die MEHR wissen wollen ohne gleichzeitig ein Studium zu absolvieren…
Super! Das freut mich, dass es verständlich ist! Das ist genau das was ich erreichen wollte:)
Vielen lieben Dank für den netten Kommentar!