Je älter wir werden, desto mehr gesundheitliche Probleme treten auf, welche die Einnahme von Medikamenten verlangen können. Viele Menschen sehen das als „normal“ an. So ist das halt, wenn man älter wird. Wir müssen uns jedoch darüber im Klaren sein, dass wir mit jeder Tablette eine Variable in ein hoch komplexes System einführen – den Körper – dessen Auswirkungen wir (bisher) nicht überblicken können.
Wie deine im Darm lebenden Bakterien an der Wirkung von Medikamenten beteiligt sind, erfährst du heute.
Dein Darm – ein häufig unterschätzter Mitspieler
Der Darm und seine Mitbewohner – das Mikrobiom – sind ein sehr heißes Forschungsgebiet zurzeit. Viele Menschen sind immer noch der Meinung Bakterien wären etwas Gefährliches und müssten vernichtet werden (siehe Reinigungsmittel, Desinfektionsmittel und co.). Forscher lernen jedoch langsam, dass wir ohne Bakterien kaum auskommen werden und dass wir ihre Macht nicht unterschätzen sollten.
Die Konstitution deines Darms und somit auch die deiner kleinen Mitbewohner wirkt sich nicht nur auf deine Gesundheit aus, sondern auch darauf wie Medikamente im Körper verarbeitet/abgebaut werden. Deine Darmbewohner spielen eine entscheidende Rolle in der Entstehung und im Verlauf verschiedener Krankheiten. Dazu gehören insbesondere Autoimmunkrankheiten und Stoffwechselkrankheiten wie das metabolische Syndrom. Auch deine Psyche wird von den Darmbewohnern beeinflusst. Welche herausragende Stellung die Ernährung in diesem Zusammenhang einnimmt, habe ich bereits in verschiedenen Beiträgen thematisiert (hier, hier, hier).
Aber ist dir bewusst, dass dein Darm auch an der Verstoffwechslung von Medikamenten maßgeblich beteiligt ist? Damit meine ich nicht nur Antibiotika, deren Ziel das Töten von Bakterien ist, sondern auch alle anderen Medikamente. Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Hormone – eigentlich alles.
Mikrobiota beeinflusst Therapien
Darmbakterien stehen in ständigem Austausch mit ihrem Wirt – dem Menschen. Grundsätzlich übernehmen die Bakterien in unserem Darmlumen wichtige Aufgaben: sie spalten Nährstoffe aus der Nahrung, stellen Vitamine her, unterstützen und schulen das Immunsystem und verhindern die Ansiedlung von Krankheitserregern. Das können sie jedoch nur, wenn die Bakterienvielfalt vorhanden ist. Gewinnt eine Bakteriengruppe zu viel Macht und unterdrückt andere, so ist das Gleichgewicht gestört und das hat weitreichende Folgen für den Wirt. Heute weiß man, dass die Mikrobiota bei Adipositas, Darmkrebs, Diabetes (Typ 2), Depressionen und vielen anderen Krankheiten aus der Balance geraten ist.
Nicht nur Krankheiten sondern auch Therapien werden von den kleinen Lebewesen im Darm beeinflusst. So gibt es zum Beispiel Therapien, die nur dann erfolgreich sind, wenn bestimmte Bakterien im Darm vorhanden sind – zum Beispiel manche Immuntherapien gegen Krebs.
Genauso können Darmbakterien, die ja ebenfalls Enzyme besitzen, bestimmte Medikamente inaktivieren bevor sie wirken können. Oder, was fast noch fataler ist, sie können das Medikament noch toxischer machen, wodurch gefährliche Nebenwirkungen entstehen könnten.
Abbau, Umbau, Verdauung…
Der Körper ist unheimlich komplex. Bis heute verstehen wir nur einen Bruchteil von dem was in uns abläuft – bzw. wir hoffen es verstanden zu haben. ;)
Anfangs war man darauf fixiert was der Körper mit einem bestimmten Wirkstoff macht. Normalerweise ist die Leber für den Abbau und Umbau verantwortlich. Die Leber ist quasi unter „Entgiftungsorgan“. Allerdings gibt die Leber Gallensekret in den Darm, das Gallensekret wird dort von den Bakterien verstoffwechselt und diese Abbauprodukte werden dann wieder ins Blut zurück transportiert.
Da haben wir es also: nicht nur unsere körpereigenen Enzyme basteln an den Wirkstoffen der Medikamente herum, sondern auch die Bakterien.
Nicht nur körpereigene Enzyme bauen Medikamente ab, sondern auch die Darmbakterien
Ein Beispiel: Acetaminophen – besser bekannt unter Paracetamol, ist eines der meistverkauften Schmerzmittel. Dennoch wird dieses Medikament häufig überdosiert und führt unter Umständen zu Leberversagen. Warum die Ausprägungen der Nebenwirkungen so unterschiedlich sind, ist noch nicht vollständig geklärt. Aber erste Ergebnisse zeigen einen interessanten Zusammenhang.
Ein Abbauprodukt von einer bestimmten Darmbakterienart wird mit demselben Enzym aus der Leber unschädlich gemacht, welches auch das Paracetamol abbaut. Das bedeutet: wenn diese Bakterienart in deinem Darm reichlich vorhanden ist und aufgrund deiner Nahrungsmittelwahl eine große Menge dieses Abbauproduktes produziert wird, ist das Leberenzym schon gut beschäftigt bzw. besetzt. Daher könnte bereits eine kleine Menge Paracetamol die Leber überlasten.
Digitalis purpurea
Ein weiteres Beispiel: Digitoxin wird aus der Pflanze Fingerhut (Digitalis purpurea) hergestellt und wird bei bestimmten Herzproblemen verschrieben. Wie bei fast allen Medikamenten ist der Grat zwischen toxisch und nicht-toxisch sehr schmal. Interessanterweise hat man ein Bakterium gefunden, dessen Gene die toxische Wirkung von Digitoxin ausschalten konnten. So könnte man meinen: wer dieses Bakterium in seinem Darm beherbergt braucht eine höhere Medikamentendosis als jemand, der es nicht hat.
Versuche in Mäusen zeigten jedoch, dass dieses Bakterium normalerweise für die Verstoffwechselung bestimmter Proteine zuständig ist. Die Zusammensetzung der Nahrung spielt also eine sehr große Rolle. Wurde die Maus mit vielen Proteinen gefüttert, so war die „Detoxifizierung“ von Digitoxin weniger effektiv, da die Bakterien mit dem Proteinabbau beschäftigt waren.
Auch unsere Ernährung hat Einfluss auf die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten
Bisher hat man nur einzelne Puzzleteile in der Hand. Wie die zusammengesetzt werden und welches Bild daraus entsteht, das muss noch herausgefunden werden.
Was sagt uns das?
Zum einen zeigt es, dass die Zusammensetzung der Mikrobiota maßgeblich am Abbau von Medikamenten beteiligt ist. Vielleicht ist das auch ein Grund warum die Medikamente von Person zu Person so unterschiedlich wirken.
Zum anderen zeigt es auch, dass wir noch ganz am Anfang unseres Verständnisses für den Körper sind. Wer hätte gedacht, dass die Aufgaben der Bakterien so vielfältig sein würden?!
Zukunftsvision
Denken wir an das Ziel die „personalisierte Medizin“ einzuführen, sieht man, wie komplex und schwierig die ganze Sache ist. Es sind so viele Faktoren die mit einberechnet werden müssen: die Gene, die körperlichen Voraussetzungen, die Bakterienzusammensetzung im Darm, welche Nahrungsmittel an dem Tag konsumiert wurden, etc.
Ob man tatsächlich irgendwann die Mittel dazu haben sollte, bleibt fragwürdig. Vor allem im Hinblick auf die jetzt schon überlasteten Krankenhäuser.
Fazit
Unser Körper ist ein wahres Wunderwerk! Ich bin immer wieder fasziniert davon! Der Darm ist ein eigenes Ökosystem und wir sollten uns Mühe geben ihn zu stärken – nicht zu zerstören. Die kleinsten Lebewesen in uns übernehmen so viele wichtige Aufgaben für uns – ich glaube nicht, dass wir ohne sie leben könnten.
Das Mikrobiom ist immer in Bewegung. Die verschiedenen Einflüsse lassen es sich immer wieder neu organisieren. Nun frage ich mich, ob diese kleinen Lebewesen vielleicht das Geheimnis zur Gesundheit sind? Werden wir irgendwann mit natürlich vorkommenden Bakterien Krankheiten behandeln?!
Quellen
Vétizou, M., Pitt, J. M., Daillère, R., Lepage, P., Waldschmitt, N., Flament, C., … & Poirier-Colame, V. (2015). Anticancer immunotherapy by CTLA-4 blockade relies on the gut microbiota. Science, aad1329.
Canbay A, Tacke F, Hadem J, Trautwein C, Gerken G, Manns MP: Acute liver failure—a life-threatening disease. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(42): 714–20. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0714
Sonnenburg, J., & Sonnenburg, E. (2015).
The good gut: taking control of your weight, your mood, and your long-term health.
Penguin.