In unserem Verdauungstrakt kommen unheimlich viele verschiedene Mikroorganismen vor – es ist quasi ein multikulti Land. Der überwiegende Teil hält sich im Darm genauer gesagt im Dickdarm auf. Auch wenn Pilze, Viren und andere Mikroorganismen Bewohner unseres kunterbunten Landes sind, dominieren deutlich die Bakterien. Warum wir diese Bewohner gerne beherbergen, welche Vorteile für uns daraus entstehen und wie wir sie überzeugen können bei uns zu bleiben erfahrt ihr im heutigen Beitrag.
Jede Bakterienart hat andere Vorlieben bezüglich der Energiequelle und produziert unterschiedliche Stoffwechselprodukte. Diese wiederum können für uns als Wirt von Vorteil sein. So werden für uns im Darmlumen beispielsweise Vitamin K (wichtig für die Blutgerinnung) und verschiedene B-Vitamine produziert. Auch hilft unsere Mikrobiota bei der Aufnahme von verschiedenen Ionen wie Calcium, Magnesium und Eisen (wer sich fragt was die Mikrobiota ist, liest bitte hier weiter).
Wir profitieren sehr von unserer Mikrobiota!
Bakterien wollen auch ernährt werden
Bakterien bedienen sich an unterschiedlichen Nahrungsquellen. Viele ernähren sich von Ballaststoffen, andere können sich von Proteinen, abgestorbenen Zellen und Schleim ernähren.
Einige Arten sind relativ flexibel und nehmen etwas anderes falls ihr Lieblingsgericht gerade nicht im Angebot sein sollte. Andere wiederum sind sehr „fixiert“ und sterben lieber bevor sie sich auf etwas Neues einlassen.
Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie davon abhängig sind, dass noch Nahrungsbestandteile im Dickdarm ankommen – dem „Wohnzimmer“ der Mitbewohner. Sie leben von Stoffen, die unsere körpereigenen Enzyme NICHT klein bekommen.
Unsere Darmmikrobiota lebt davon, dass uns bestimmte Werkzeuge (Enzyme) fehlen!
Unsere kleinen Mitbewohner nutzen diese unverdaulichen Nahrungsbestandteile und produzieren daraus Energie für sich selber. Gleichzeitig bilden sie daraus neue Moleküle bzw. Metabolite, die teilweise für uns Menschen wiederum verwertbar sind.
Manche Bakterienspezies sind auf die Bildung von verschiedenen kurzkettigen Fettsäuren spezialisiert, auf Englisch „short chain fatty acids“ (SCFA). Diese kurzkettigen Fettsäuren werden vom Darm aufgenommen und besonders die Kolon-Epithelzellen (=Zellen im Dickdarm) beziehen hieraus ihre Energie1;2.
Mit anderen Worten: Bakterien versorgen unsere Darmzellen mit Energie!
Andere Bakterien wiederum produzieren Produkte womit sie eine dritte Bakteriengruppe ernähren. Diese Bakterien dienen somit hauptsächlich dazu anderen Bakterien die Nahrung vorzukauen. Ähnlich wie die Vogelmutter, die ihre Jungen noch im Nest versorgen muss.
Bakterien sind Türsteher für unsere Darmzellen
Das Darmmikrobiom als Ganzes hat noch eine weitere wichtige Funktion. Es kleidet den gesamten Darm von innen mit einem Biofilm aus, der die Darmzellen wie eine Barriere vor Angriffen durch Säuren oder pathogenen Keimen schützt. Das Mikrobiom ist quasi der Türsteher für die Zellen, der manche Stoffe durchlässt (z.B. kurzkettigen Fettsäuren) und andere Stoffe wiederum nicht (z.B. Krankheitserreger).
Das Zusammenleben mit Bakterien bedeutet für uns gesundheitliche Vorteile.
Unser Mikrobiom hilft uns in vielerlei Hinsicht ein gesundes Leben zu führen. Wollen wir, dass weiterhin gute Arbeit geleistet wird, müssen wir dafür sorgen, dass es den Bakterien gut geht.
Wie machen wir uns beliebt bei den Bakterien?
Wir profitieren von dem Zusammenleben mit Bakterien. Um diesen „Vertrag“ auch verlängern zu können, sollten wir es den Bakterien schön machen bei uns. Eine Decke, ein Kamin und vielleicht sogar ein Fernseher in ihrem Wohnzimmer wäre schön, oder?!
Spaß beiseite – der Hauptgrund weshalb Bakterien gerne bei uns wohnen ist die konstante Nahrungszufuhr. Diese sollten wir aufrecht erhalten. Allerdings sind die Bakterien leider die letzten in der Schlange, die ans Essen dürfen. Sie bekommen nur die abgegrasten Nahrungsbestandteile präsentiert und können sich dann überlegen: friss oder stirb.
Was bleibt denn noch übrig nachdem die Nahrung schon durch den Mund, Magen und den Dünndarm gegangen ist?
Richtig, im Dickdarm kommen hauptsächlich Ballaststoffe an, denn damit haben unsere körpereigenen Enzyme etwas Schwierigkeiten. Ihnen fehlt der richtige Schlüssel um die Verbindungen kappen zu können. Ballaststoffe sind pflanzlichen Ursprungs und in Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten sowie in (Pseudo-) Getreide, wenn das volle Korn verwendet wird, natürlicherweise enthalten. Buchweizen, Erdmandeln und Hafer sind nur ein paar Beispiele für gute Lieferanten.
Wir müssen also schauen, dass unsere tägliche Nahrung viele Ballaststoffe enthält – sonst verhungern unsere lieben Mitbewohner.
Unsere Darmbakterien lieben Ballaststoffe!
Nach einer wagenrad-großen Pizza mit schön viel Salami und Käse sind wir pappsatt und kugeln uns quasi nur noch zur Couch.
Unsere Darmbakterien werden von dieser Pizza jedoch so gut wie nichts zu sehen bekommen: die Ballaststoffe fehlen. Das Mehl für den Teig ist meist aus 550er Mehl hergestellt (mehr zu den Mehltypen findet ihr hier), wovon unsere Darmbakterien fast nichts mehr sehen werden, da die körpereigenen Enzyme schon ihre Arbeit getan haben und in Salami und Käse gibt es keine Ballaststoffe.
Das heißt: obwohl wir essen, verhungern unsere Darmbakterien.
Denkt man daran wie viele Lebensmittel heutzutage verarbeitet sind (mehr zu verarbeiteten Lebensmitteln) und wie das Nährstoffprofil bezüglich der „Bakteriennahrung“ dazu aussieht, kommt unweigerlich die Frage auf: sind unsere Darmbakterien gut versorgt?
Sind unsere Darmbakterien bedrohte Spezies?
Eine stabile Darmmikrobiota mit vielen verschiedenen Bakterien hält uns gesund und ermöglicht uns auch eine schnellere Regeneration, falls sich doch mal ein Infekt eingeschlichen haben sollte.
Von den über 50 (bisher) bekannten Bakterienphyla dominieren nur 4 in und auf dem Lebensraum Mensch3. Dies lässt vermuten, dass die Lebensbedingungen in und auf uns limitierende Faktoren mit sich bringen, weshalb nur diese Phyla sich dort durchsetzen können.
Im Vergleich zu unseren Vorfahren den Menschenaffen hat sich die Diversität (= Vielfalt) unserer Darmmikrobiota deutlich verringert. Wir haben also nicht mehr so viele verschiedene Bakterienarten in unserem Darm wie früher4. Dies zeigt, dass sich nicht nur unsere Lebensbedingungen im Laufe der Evolution verändert haben, sondern scheinbar auch die der Mikroorgansimen die in und auf uns Menschen leben.
Die Bakterienvielfalt in unserer Mikrobiota hat sich im Laufe der Evolution deutlich verringert.
Dies ist erst einmal nur eine Beobachtung.
Welche Konsequenzen daraus zu lesen sind, muss noch erforscht werden.
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass es eine Verbindung4 gibt zwischen niedriger Bakterienvielfalt (-Diversität) und
- Autoimmunkrankheiten,
- Diabetes Typ 2
- krankhaftes Übergewicht und
- chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (wie z.B. Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa)
Fazit
Das Zusammenleben zwischen Mikroorganismen und Mensch zu verstehen wird noch lange dauern, falls wir es überhaupt mal überblicken werden. Aber vielleicht können wir ein paar unserer Zivilisationskrankheiten mindern oder in den Griff bekommen indem wir bei der Wahl unserer Nahrung auch mal an die Bedürfnisse unserer für uns unsichtbaren Mitbewohner denken?!
Im nächsten Artikel geht es darum wie die Wahl unserer Nahrung die Zusammensetzung der Darmmikrobiota beeinflusst und wie die Mikrobiota eventuell auch am Problem „Übergewicht“ beteiligt sein kann.
Quellen
1Schwiertz, A., Taras, D., Schäfer, K., Beijer, S., Bos, N. A., Donus, C. and Hardt, P. D. Microbiota and SCFA in Lean and Overweight Healthy Subjects. Obesity 2010; 18: 190–195. doi:10.1038/oby.2009.167
2Ríos-Covián D, Ruas-Madiedo P, Margolles A, Gueimonde M, delos Reyes-Gavilán C, Gand Salazar N, Intestinal Short Chain Fatty Acids and their Link with Diet and Human Health. Frontiers in Microbiology 2016; 7:185. doi: 10.3389/fmicb.2016.00185
3Blaser, M J., Falkow, S., What are the consequences of the disappearing human microbiota? Nature Reviews Microbiology 2009; 7(12): 887-94. doi: 10.1038/nrmicro2245.
4Andrew H. Moeller, Yingying Li, Eitel Mpoudi Ngole, Steve Ahuka-Mundeke, Elizabeth V. Lonsdorf, Anne E. Pusey, Martine Peeters, Beatrice H. Hahn, and Howard Ochman, Rapid changes in the gut microbiome during human evolution Proceedings of the National Academy of Sciences 2014; 111 (46) 16431-16435; doi:10.1073/pnas.1419136111