Warum essen wir? Eigentlich essen wir, weil wir Energie brauchen.
Heutzutage haben wir den absoluten Luxus, dass in großen Teilen der Welt Nahrung im Überfluss vorhanden ist. Die Nahrungsaufnahme dient nicht mehr nur dem reinen Überleben, sondern wir essen häufig auch aus gesellschaftlichen Gründen oder einfach weil wir Lust haben.
Aus diesem Luxus entsteht jedoch häufig das Problem einer Überernährung, was uns zwingt unsere Ernährung zu hinterfragen.
Bei der Analyse dieser „neuen Probleme“ wird meist sehr mathematisch bzw. nüchtern vorgegangen. Es geht um Kilokalorienangaben oder Verhältnisse von Inhaltsstoffen.
Was jedoch meist viel zu kurz kommt ist der Genuss und der Geschmack. Das Essen zu erleben und wahrzunehmen als eigenständiges Ereignis. Diäten vermitteln selten Freude am Essen, es geht immer nur darum was man weg lassen muss um auf sein Wunschgewicht zu kommen. Aber was ist nach der Diät? Wurde das Essverhalten dauerhaft verändert, so dass man nach der Diät nicht in die alten Gewohnheiten zurückfällt? Hat man gelernt mit welchen Signalen der Körper seine Bedürfnisse kund tut?
Auch wird immer seltener auf das Bauchgefühl geachtet. Habe ich überhaupt Hunger? Oder esse ich aus anderen Gründen? Welche Bedürfnisse versuche ich zu stillen? Diese Fragen können nicht „mathematisch“ beantwortet werden, sondern das muss jeder Einzelne für sich selbst in der jeweiligen Situation beantworten.
Von Genuss und Geschmack ist leider selten die Rede.
Essen sollte nicht nur zur Auffüllung der Energiespeicher dienen. Auch die Seele will ernährt werden. Das Ambiente, der Genuss und die Freude sind beim Essen mindestens genauso wichtig wie die richtige Nährstoffversorgung. Warum sonst ist in jedem Liebesfilm ein romantisches Candle-Light Dinner zu sehen?
Auf die Sinne zurückbesinnen
Es sind die Sinne, die zu der Lösung des Problems des Übergewichts beitragen könnten. Aber dazu müssen sie gut trainiert sein und wir müssen sie bewusst wahrnehmen.
So gibt es beispielsweise viele Wechselwirkungen zwischen Gehirn, Zunge und Gaumen. Steigt der Pegel des Sättigungshormons Leptin, so nimmt die Empfindlichkeit für Süß auf der Zunge ab1. Wir sind satt und brauchen eigentlich nicht noch einen Nachtisch. Unser Körper gibt uns die entsprechenden Signale, wir müssen nur gut zuhören und vielleicht auch wieder lernen diese richtig zu deuten.
Bevor du gedankenlos deinen Nachtisch bestellst, stelle dir die Frage: warum will ich noch einen Nachtisch? Welches Bedürfnis versuche ich damit zu stillen? Ist es Hunger, ist es Genuss, oder ärgere ich mich innerlich immer noch über eine bestimmte Situation?
Früher war es überlebenswichtig Nahrungsmittel nach verträglich oder nicht, giftig oder nicht, usw. zu selektieren. Die Sinne waren sehr viel geschärfter und die Menschen mussten ihnen blind vertrauen können.
Heutzutage ist diese Fähigkeit nicht mehr gefragt. Wir essen meistens das was uns vorgesetzt wird. Wer zu viele Fragen stellt und die Sachen hinterfragt wird häufig als lästig empfunden.
Werdet lästig, fangt an zu fragen :)
Fast alle industriell gefertigten Lebensmittel sind ZU süß, denn die Geschmacksrichtung „süß“ signalisiert Verträglichkeit und Energiereichtum. Hinzu kommt häufig noch, dass sie zu fett und zu vitaminarm sind.
Wer also lernen will auf seinen Körper zu hören, sollte am besten auf Nahrungsmittel zurückgreifen, die so unverarbeitet wie möglich sind (mehr zu Lebensmittelverarbeitung-Fluch oder Segen?).
Aber auch Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle.
Es braucht Zeit um herauszufinden, ob DIESES Nahrungsmittel für DEINEN Körper verträglich ist.
Zeit zum Genießen, zum Wahrnehmen der verschiedenen Geschmacksrichtungen, Zeit zum Ertasten des Mundgefühls.
Erst wenn die Sinne als Einheit ihre Aufgaben erfüllen dürfen, wird die bloße Nahrungsaufnahme zu einem Erlebnis.
Mit allen Sinnen genießen
Zur Entwicklung des Menschen gehört auch die Entfaltung der Sinne. Der Grundstein dafür wird ganz früh in der Kleinkindphase gelegt. Kinder entdecken ihre Umgebung nicht nur durch Tasten und Sehen, sondern auch durch Schmecken. Jede Mutter erinnert sich sicherlich an die Phase in der das Kind alles was greifbar war in den Mund genommen hat.
Der Geschmackssinn wird entwickelt.
Ob ein Lebensmittel gerne gegessen wird ist nicht von einem einzelnen Sinn abhängig, sondern von dem Zusammenspiel aller Sinne.
Das Aussehen, die Textur, das Geräusch was es beim Kauen oder Abbeißen macht und natürlich auch der Geschmack sind alles Teil des Entscheidungsprozesses, ob dieses Lebensmittel weiterhin gegessen wird oder verweigert wird. Wie dieses Thema in der Industrie Nutzen findet, habe ich in dem Beitrag Food design – oder designer food? vorgestellt.
Der Sehsinn
In unserer heutigen Gesellschaft wird dem Sehsinn eine unheimlich große Bedeutung zugesprochen. Fast alles läuft über das Sehen, was auch unter anderem an der technologischen Entwicklung liegt. Wir verlassen uns auf diesen Sinn, wodurch die anderen etwas stiefmütterlich behandelt werden. Erst wenn dieser Sinn nicht mehr funktioniert oder ausgeschaltet wird, greifen wir auf die anderen Sinne zurück.
Im Dunkelrestaurant wird Essen im Dunkeln serviert, wie der Name schon sagt. So kann man erfahren wie es ist etwas zu essen ohne es zu sehen. Die Auflösung was dort aufgetischt wird, erfolgt erst nach dem Verzehr. Da bekommt das Gefühl des Schmeckens eine völlig neue Bedeutung. Man muss sich nämlich tatsächlich auf die anderen Sinne verlassen, die meist nur in Kombination MIT dem Sehsinn genutzt werden.
Dabei werden vielleicht ganz andere Sachen wahrgenommen.
Wie riecht der Raum? Wie riecht der Kellner?
Wie fühlt sich die Tischdecke an? War das gerade eine Kartoffel? Wie riecht Kohl? Welche verschiedenen Zubereitungsarten kann ich herausschmecken? Ist das gekocht oder vielleicht sogar roh?
Probiert es mal aus! Das ist wirklich spannend! Wie gut sind eure Sinne trainiert?
Sei dir deine Zeit wert
Bei all den Regeln, Philosophien und Empfehlungen die zu dem Thema Ernährung herumgeistern, sollte eines nicht vergessen werden: sich für sein Essen Zeit zu nehmen. Das sollte die wichtigste Regel überhaupt sein!
Genauso wie man sich Zeit für seine Freunde, für den Sport, für ein Konzert, etc. nimmt, sollte man es sich wert sein für SEIN Essen Zeit einzuplanen.
Natürlich kann nicht jede Mahlzeit aufwendig zubereitet werden, aber auch schnelle Gerichte können mit Genuss und Muße verzehrt werden.
Die Fähigkeit ein Gericht zu genießen setzt die Wahrnehmung der verschiedenen Sinne voraus. Auch die Wahrnehmung für die Bekömmlichkeit eines Nahrungsmittels kann geschult werden, was letzten Endes auch der Gesundheit dient.
Nicht nur die Zunge hat Mitspracherecht über die Entscheidung ob etwas schmeckt oder nicht, sondern ebenso das Auge, die Nase und das Ohr.
Wer beispielsweise den Riechsinn verliert, wird feststellen, dass alles gleich schmeckt. Diesen Zustand hat sicherlich fast jeder schon am eigenen Leib bei einem Schnupfen erfahren.
Fazit
Nehmt euch Zeit für euer Essen! Sowohl die Zubereitung als auch das Verzehren sollte Zeit sein, die ihr in eurem Alltag freihaltet.
Essen sollte nicht nur die Energiespeicher auffüllen, sondern es soll auch eine Zeit der Entspannung sein in der man die Seele baumeln lassen und innerlich und nervlich Kraft tanken kann für all die neuen Herausforderungen, die noch auf uns warten!
Essen ist ein Fest der Sinne!
Quelle
1Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Erforschung der menschlichen Sinne – Funktionen und Leistungen, Störungen und Therapien, 2006