Lebensmittel im „original Zustand“, also so unverarbeitet wie möglich (z.B. Obst und Gemüse), machen nur einen Bruchteil der Fläche im Supermarkt aus. Überwiegend sind verarbeitete Lebensmittel wie Brot, Süßigkeiten und ähnlichem anzutreffen. Fast täglich tauchen neue Lebensmittelprodukte auf, während andere verschwinden. Wie wird so ein neues Produkt entwickelt? Was sind die Ziele der Industrie? Mit welchen Hilfsmitteln wird gearbeitet?
Was ist Food design?
Food design beinhaltet die Entwicklung neuer Lebensmittelprodukte aus den uns bekannten Basislebensmitteln, wie beispielsweise Chips, die aus Kartoffeln hergestellt werden.
Neue Produkte kommen ständig auf den Markt. Oder Einzelheiten vorhandener Produkten werden verändert, wie die Rezeptur, die Verpackung oder ähnlichem. Wie in der Natur, so auch in der Industrie, überlebt nur der, der sich kontinuierlich anpasst bzw. verändert. „Survival of the fittest“, wie Darwin das so schön formulierte.
Hinter der Entwicklung neuer Lebensmittelprodukte steckt ein ausgeklügeltes System, ähnlich wie in der Modewelt oder beim Autobauer.
Viele verschiedene Faktoren spielen dabei eine größere Rolle als manch einer denkt.
Zuerst muss die Zielgruppe definiert werden. Wen will man mit dem Produkt erreichen?
Es geht darum in einem Lebensmittel das umzusetzen, was der Konsument sucht. Mit aufwendigen Untersuchungen und Tests versuchen die Unternehmen herauszufinden was der Konsument (die definierte Zielgruppe) zurzeit von einem Produkt erwartet. Sind Gesundheitsaspekte wichtig? Oder ist geringer Aufwand bei der Zubereitung wichtig? So tauchen immer mehr der sogenannten „Convenience Produkte“ auf. Eine volle Mahlzeit schnell in der Mikrowelle zubereitet – das scheinen viele Verbraucher zu wollen.
Auch der Nachfrage nach Fleischalternativen geht die Industrie nach. So waren diese bis vor kurzem hauptsächlich in Bio-Supermärkten und Reformhäusern anzutreffen, während sie heute in fast jedem normalen Supermarkt zu finden sind.
Aber auch andere Punkte sind wichtig: passt das Produkt zum Image des Unternehmens/der Marke? Kann es günstig produziert und mit Gewinn verkauft werden? Kann es in großer Stückzahl produziert werden? Wie wahrscheinlich ist es, dass es vom Markt angenommen wird? Oder ist es doch zu „anders“ bzw. neu, so dass die Kunden es nicht kaufen werden?
So wollte Coca Cola 1985 eine neue Rezeptur einführen unter dem Namen „New Coke“ und die „alte“ damit ersetzen1. Dies erwies sich als der größte Flop überhaupt. Die Konsumenten waren aufgebracht und nach nur 79 Tagen, gab das Unternehmen nach und brachte die „alte“ Cola unter dem Namen „Coca Cola Classic“ wieder auf den Markt. Obwohl die Firma vorher ihre Hausaufgaben gemacht hatte und die Berater davon überzeugt waren, dass die neue Rezeptur gut ankommen würde, hatten sie eines außer Acht gelassen: die Verbindung zwischen Marke und Geschmack. Das gehörte einfach zusammen und sollte nicht geändert werden.
Dieser Misserfolg war der Firma eine Lehre. Sie passen sich zwar weiterhin dem Konsumenten an mit Coke Zero und anderen Variationen, aber die Coca Cola Classic bleibt weiterhin im Sortiment!
Wie wird ein neues Produkt geboren?
Nachdem die Zielgruppe definiert ist, kann man sich dem Aussehen des Produktes widmen. Über Testpersonen wird anhand von Bildern ermittelt, welche visuelle Variante voraussichtlich die erfolgreichste sein wird.
Merke: es geht hier rein ums Aussehen – das Auge isst bekanntlich mit.
Auch die Farbe spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle – besonders in unserem Unterbewusstsein. Allein die Farbe kann schon für oder gegen ein Produkt sprechen. Ein berühmtes Beispiel sind die Gummibärchen: da die süßesten Früchte meist rot sind, übertragen wir dies auch auf andere Lebensmittel, weshalb die roten Gummibärchen sehr viel beliebter als die anderen Farben sind. Daher sind in den Verpackungen meist doppelt so viele rote wie andersfarbige Gummibärchen enthalten.
Erst nachdem das Aussehen ermittelt wurde, geht es an den Geschmack. Wieder helfen Testpersonen bei der Entscheidungsfindung. Ein Sensoriklabor bietet dafür beste Voraussetzungen. Dabei geht es um weit mehr als „nur“ die Geschmacksrichtungen, welche die Zunge wahrnehmen kann.
Die Nase hat gleichermaßen einen großen Einfluss auf das Geschmacksempfinden. Während die Zunge nur 4 Geschmacksrichtungen kennt – süß, sauer, salzig und bitter (manche sagen es gibt noch eine 5. Geschmacksrichtung: umami) – wird der Rest über die Nase entschieden.
Oft wird unterschätzt, dass auch das Gehör das Geschmacksempfinden beeinflusst. Besonders deutlich ist dieses Phänomen bei Chips oder Keksen zu beobachten. Machen diese beim Abbeißen oder Kauen nur wenig Geräusche, verbinden wir dies mit fehlender Frische und lassen den Rest der Packung liegen.
Der Mund bzw. das Mundgefühl spielt eine ebenso große Rolle. Konsistenz, Bissfestigkeit und auch Temperatur machen einen Großteil des Geschmacksempfindens aus. Saugen, lutschen oder kauen, macht hier einen großen Unterschied.
Wenn sich das Produkt im Mund gut anfühlt, löst dies ein Wohlbefinden in uns aus, dass uns auch manchmal mehr essen lässt, als wir anfangs wollten. Selbst auf emotionaler Ebene werden wir somit angesprochen, denn der Genuss wird mit einem positiven Gefühl verknüpft.
Besonders die Süßwarenindustrie profitiert davon. So werden in manch einer Praline mehrere verschiedene Konsistenzen verarbeitet. Knackige Schokolade, zart schmelzende Füllung, vielleicht noch eine Nuss in der Mitte – mit einem einzigen Biss ist eine Geschmacksexplosion erlebbar.
Wie wichtig das Mundgefühl sein kann zeigt das Beispiel Orangensaft: natürlicherweise sind im Orangensaft so genannte „Grizzle“ (=Fruchtfleisch) mehr oder weniger enthalten. Es gibt Menschen, die Orangensaft mit Fruchtfleisch verweigern. Das Mundgefühl gefällt ihnen nicht, es löst nicht das Gefühl von Wohlbefinden aus. Die Industrie hat darauf reagiert und ihr Angebot dementsprechend angepasst.
Wir lernen: Geschmack entsteht aus dem Zusammenspiel von Schmecken, Hören, Riechen, Tasten und Temperaturempfinden in der Mundhöle.
Auch eine funktionelle Komponente kann ein Produkt erhalten. Zum einen kann es dabei um das Produkt selber gehen, welches eine Funktion nachahmen kann, wie zum Beispiel Pommes, die wie Finger in die Mayonnaise getaucht werden oder der Pizzaboden, der wie ein Teller für den Belag wirkt.
Zum anderen gibt es das sogenannte „Functional food“. Dies sind Nahrungsmittel, die mit teilweise künstlich hergestellten Zusatzstoffen angereichert werden um damit einen angeblich positiven Nutzen für den Körper zu haben. Ein bekanntes Beispiel sind Nimm 2 Bonbons, die mit Vitaminen angereichert werden um einen gesunden Eindruck zu erwecken. Aber auch Joghurt mit lebenden Bakterienkulturen, der mit „probiotisch“ beworben wurde, zählt hierzu. Seit der Health Claims Verordnung (2007) darf mit gesundheitsbezogenen Aussagen nur geworben werden, wenn diese wissenschaftlich nachgewiesen wurden.
Die Verpackung und die Vermarktung sind bei der Einführung in den Markt mindestens genauso wichtig wie das Produkt selber. Auch hier will alles wohl überlegt sein. Soll die Verpackung wiederverschließbar sein? Aus welchem Material besteht die Verpackung? Soll eine umweltbewusste Zielgruppe angesprochen werden, wird Kunststoff nicht die erste Wahl sein. Soll das Produkt „sauber“ verzehrt werden können oder sollen sich anschließend genüsslich die Finger abgeleckt werden?
Jedes kleinste Detail wird genau überlegt.
Und natürlich nicht zu vergessen: ohne Werbung läuft gar nichts! Bei der Fülle an Angeboten würde ein neues Produkt ohne Werbung kaum Aufmerksamkeit erlangen.
Fazit
Die Entwicklung eines neuen Lebensmittels besteht aus einem minutiös geplanten Weg und ist in erster Linie darauf ausgerichtet den Konsumenten auf emotionaler Ebene zum Kauf zu verführen. Gesundheit und Vollwertigkeit spielen eine untergeordnete Rolle.
Von daher sollte man allen verarbeiteten Lebensmitteln mit einem wachen Auge begegnen.
Lest die Zutatenliste und entscheidet selber, ob dieses Produkt die Inhaltsstoffe hat, die ihr eurem Körper zuführen wollt.
Natürlich gilt hier wie immer: die Dosis macht das Gift. Mal zu einem „ungesunden“ Produkt zu greifen ist nicht so schlimm, aber dauerhaft oder in rauen Mengen bedankt sich unser Körper nicht. Die Industrie aber lebt den rauen Mengen. Ihr Ziel ist so viel wie möglich von dem Produkt an den Mann oder die Frau zu bringen, damit das Unternehmen schwarze Zahlen schreiben kann. Schließlich haben sie viel Geld und Muße in die Planung des Produktes gesteckt, damit wir Konsumenten ein positives Erlebnis haben – angefangen beim Kauf im Supermarkt über die Öffnung der Verpackung bis hin zum Vernaschen des letzten Krümels. Das machen alle so – seid euch dessen bewusst, wenn ihr Einkaufen geht :)
Ihr entscheidet was in eurem Magen landet, denn ein aufgeklärter Konsument entscheidet bewusst.
Quellen
1https://www.coca-colacompany.com/stories/coke-lore-new-coke/
Lerma B., Allione C., De Giorgi C., Bruno S., Stabellini B. Food, design, users: how to design food interaction modes. International Conference on Designing Food and Designing for Food 2012; Londra, 28 – 29 giugno 2012. pp. 297-314
Bloch, P. H. Seeking the Ideal Form: Product Design and Consumer Response. Journal of Marketing 1995; 59(3), 16–29. doi.org/10.2307/1252116
Food Design, Ein Film von Martin Habelsreiter und Sonja Stummerer (2008)